Erfolgreicher mit künstlicher Intelligenz in Marketing, Vertrieb und Service

03.08.2023
7 Min.
Die Künstliche Intelligenz (KI) ist zurzeit in aller Munde. Vieles ist Spielerei, doch gerade in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Service bieten sich mit dem gekonnten Einsatz von KI ungeahnte Möglichkeiten. Höhere Kundenzufriedenheit, bessere Effizienz und von mühsamen Aufgaben entlastete Mitarbeitende können das Resultat sein. 
 
 
Das Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten für KI ist immens – das Marktpotenzial gigantisch. Gemäss einer Schätzung des World Economic Forum könnte KI im Jahr 2030 bis zu 15,7 Billionen Dollar zur Weltwirtschaft betragen, mehr als die derzeitige Wirtschaftsleistung von China und Indien zusammen. Nach PwC dürften 6,6 Billionen Dollar auf Produktivitätssteigerungen und 9,1 Billionen Dollar auf konsumseitige Effekte zurückzuführen sein.
 
Die Forschung von PwC zeigt auch, dass 45 % der gesamten wirtschaftlichen Gewinne bis 2030 aus Produktverbesserungen stammen werden, die die Verbrauchernachfrage anregen. Dies läge daran, dass die KI eine grössere Produktvielfalt hervorbringen wird, die mit der Zeit immer individueller, attraktiver und erschwinglicher wird. 
 
KI leistet aber auch in anderen Bereichen einen wesentlichen Beitrag zu mehr Effizienz und einer besseren Kundenorientierung. In einer hypervernetzten Gesellschaft, die in ihrem Konsumverhalten immer mehr on- als offline ist, ist KI ein wahrer Gamechanger.
 
Nachfolgend zeige ich exemplarisch ein paar Anwendungsmöglichkeiten in Marketing, Vertrieb und Kundenservice, wobei ich der Einfachheit halber nicht zwischen künstlicher Intelligenz, Machine Learning und intelligenter multivariater Datenanalyse unterscheide.
 

KI im Marketing

Innovation und schnelle Adaption auf Veränderungen im Konsumverhalten 

Beginnen wir mit der Innovation. Tatsächlich sorgt die KI dafür, dass uns Konsumenten eine immer grössere Produktvielfalt zur Auswahl steht, die unsere individuellen Bedürfnisse in einer zunehmenden Granularität befriedigt. KI sorgt aber auch dafür, dass Produkte überhaupt erst auf den Markt kommen oder Dienstleistungen angeboten werden, für die eine Nachfrage nicht immer offensichtlich ist. 
 
Zu diesem Zweck kommen Marktforschungsanwendungen zum Einsatz, die mithilfe von KI schnell und kosteneffizient relevante Insights liefern. Dabei werden Algorithmen eingesetzt, die grosse Datenmengen aus einer Vielzahl von Touchpoints in wesentlich kürzerer Zeit verarbeiten als herkömmliche Marktforschungsmethoden. 
 
Dabei kann durch KI-gestütztes Sprachverständnis (NLP – Natural Language Processing) auch qualitative Aspekte von Sprache und Bildern immer besser bewerten. Das beweisen ChatGPT und DALL-E 2 von OpenAI, Midjourney, Bing Chat von Microsoft oder der Neutrum Themennavigator von Hase & Igel. 
 
Natürliches Sprachverständnis und selbst die Erkennung der Tonalität in der Sprache haben riesige Fortschritte gemacht, genauso wie die Deutung von Bildern. Die KI ist bei der Auswertung qualitativer Aspekte in mancher Hinsicht den Menschen sogar überlegen, weil sie ohne Vorurteile und Klischees wertet.
 
Die KI liefert uns klare Indizien dafür, was Kunden aktuell nachfragen, was sie gerade beschäftigt, und wie und wo sie sich informieren.
 
Ein Beispiel: Berky, ein führender Anbieter für Spezialboote, mit denen Deiche instandgehalten werden, suchte neue Geschäftschancen. Dabei stellte sich die Frage, ob mit der Entsorgung von Plastikmüll aus Gewässern zusätzlicher Profit generiert werden könnte. Mithilfe KI-gestützter Analysen des Informations- und Kommunikationsverhaltens potenzieller Zielgruppen entdeckte Berky die relevanten Use Cases und identifizierte typische Zielkunden und passende Partner. Gewinner sind nicht nur die Kunden, die auf Ihre Bedürfnisse ab-gestimmte Boote erhalten, sondern auch die Umwelt – denn durch den erfolgreichen Eintritt in den neuen Markt fischen die Spezialboote von Berky schon nach kurzer Zeit in immer grösserer Menge Kunststoff aus Flüssen und Ozeanen.  
 

Individuelle Kommunikation und passgenaue Angebote

Werbung empfinden viele nur dann als lästig, wenn sie nicht zu einem passt. So wollen wir keine Werbung für Pampers sehen, wenn wir keine kleinen Kinder haben – und als Vegetarier auch keine Promotion für ein Steak. 66 Prozent der Kunden erwarten von Unternehmen gemäss einer global angelegten Studie von Salesforce, dass sie ihre individuellen Bedürfnisse und Erwartungen verstehen. Und 52 Prozent erwarten zudem, dass Angebote immer personalisiert sind. Zu noch deutlicheren Erkenntnissen kommt McKinsey & Company in einem ihrer Reports: «71 Prozent der Verbraucher von Unternehmen erwarten, dass sie personalisierte Interaktionen anbieten. Und 76 Prozent sind frustriert, wenn dies nicht der Fall ist.» 
 
Welche Möglichkeiten zur Personalisierung stehen uns also zur Verfügung? 
 
  • Prädikative Personalisierung 
    Lange galt die «Predictive Personalization» als die beste Methode. Wir stützen uns dabei auf das bisherige und aktuelle Verhalten, ausdrücklich geäusserte Präferenzen sowie historische Kaufdaten. Als Konsumenten schätzen wir, dass uns Unternehmen wie Amazon, Netflix oder Spotify Bücher, Filme und Musik vorschlagen, die wir höchstwahrscheinlich mögen, weil wir schon Ähnliches konsumiert haben. Dahinter stecken vergleichsweise einfache Algorithmen.

    Etwas komplexer wird es mit «Predictive Modeling», wo mit einer Vielzahl an Variablen operiert wird, die Umwelteinflüsse, Veränderungen im Markt, Saisonalität etc. miteinschliessen. Beiden Ansätzen gemein ist, dass sich aus dem Verhalten und den aktuellen Erwartungen die Kundenkommunikation effektiver gestalten und die «Next Best Action» ableiten lässt – eine auf KI beruhende, datengestützte Handlungsempfehlung in Echtzeit. Dazu gehören beispielsweise zum aktuellen Wetter passende Angebote, zeitlich begrenzte Promotionen oder Trials.

  • Kontextuelles Targeting 
    Beim «Contextual Targeting» orientieren wir uns weniger am Verhalten einer Person, sondern vielmehr an dem, was sie online an Inhalten konsumiert und generiert. In diesem Kontext platzieren wir dann unsere Inhalte. Die hohe Schule der Anbahnung ist es, potenzielle Kunden mit für sie relevantem und ansprechendem Content zu fesseln. Passende Infografiken, Erklärvideos oder Ratgeber sorgen für ein höheres Engagement und eine positive Brand Experience.

    Ein Beispiel: Eine bekannte Bourbon-Marke identifizierte während der Lockdowns mit KI-gestützten Analysetools von Hase & Igel, wie sich das Trinkverhalten änderte und zu welchen Anlässen Menschen gerne welche Getränke konsumieren, wenn Clubs, Bars und Festivals geschlossen bleiben müssen. 

    Konkret waren das Grillieren im Freundes- und Bekanntenkreis und virtuelle Partys über Twitch. Indem das Unternehmen seine Produkte und sein Marketing in diesen passenden, neuen Kontexten und in den richtigen Kanälen verbreitete, blieb die Marke auch während Corona in den Herzen und Kehlen der Zielgruppe.
 
Für beide hier skizzierten Techniken benötigen wir verlässliche Daten, die für eine datenschutz- und gesetzeskonforme Personalisierung anonymisiert und aggregiert werden. Im Gegensatz zur erstgenannten Methode kommen wir aber beim kontextuellen Targeting nicht nur gänzlich ohne Cookies aus, sondern auch ohne sogenannte First-Party-Daten, also Daten zu unseren Kunden, die uns als Unternehmen bekannt sind.
 
Das hat wesentliche Vorteile. Denn: Cookies gehören bald der Vergangenheit und eigene Daten über die Kunden zu beschaffen, scheitert oft an der Bereitschaft der Kunden, diese für Unternehmen freizugeben. Beim kontextuellen Targeting kann es uns aber egal sein, wer vor dem Bildschirm sitzt, solange er oder sie klickt, liked, shared oder kauft.
 
In naher Zukunft werden intelligente Bots im kontextuellen Targeting und der Personalisierung eine grössere Rolle spielen. Die Chat Bots können heute schon dazu verwendet werden, mit wenig Aufwand gute Inhalte zu erzeugen. Bots werden zukünftig aus Content, der sich auf unserer Webseite oder in einem internen Content Repository befindet (wir wollen schliesslich die Kontrolle über unsere Brand Messages behalten), dynamisch personalisierte und damit relevante Inhalte schneidern für Chats, E-Mail- oder Social Media-Kampagnen. Oder gleich passende Produkte vorschlagen.
 
In die Personalisierung zu investieren, lohnt sich in jedem Fall. McKinsey glaubt, dass Personalisierung den Umsatz über alle Industrien gesehen um 10 bis 15 Prozent steigert und den ROI der Marketingausgaben (ROMI) um das fünf- bis achtfache verbessert.
 
 

KI im Vertrieb

Sicherstellen der Verfügbarkeiten durch intelligente Absatzplanung

Wenn wir in einem Shop ein Produkt nicht finden, das wir dringend haben wollen, sind wir enttäuscht bis verärgert – besonders wenn man sich dazu noch in einen physischen Laden begeben musste, der womöglich weit weg liegt. Als Polstermöbelhersteller mit eigener Produktion in Europa ist es deshalb für DOMO besonders wichtig, möglichst weit im Voraus zu wissen, was die Kunden kaufen werden.
 
Mit den KI-gestützten Datenanalyse-Tools von Hase & Igel erkennt das Unternehmen, welche Trends relevant sind und wie sich die Nachfrage je Bauform, Farben und Ausstattung per Verkaufsstandort entwickeln wird. Damit produziert DOMO das, was die Konsumenten auch wirklich nachfragen werden, und berät die Händler vor Ort, welche Varianten sie am besten in den Showroom stellen und welche Absatzmengen erzielbar sein sollten. So steigert der Mittelständler die Kundenzufriedenheit und stärkt den lokalen Einzelhandel.
 

Bessere Beratung der Kunden im direkten Gespräch 

Kunden schätzen es auch im direkten Kontakt mit einer Vertriebsmitarbeiterin, wenn sie dieser nicht erst erklären müssen, welche Produkte des Unternehmens sie bereits nutzen oder welche Dienstleistungen sie früher schon in Anspruch genommen haben. Was früher im besseren Fall in einem CRM-System gesucht werden konnte, kann KI heute problemlos aus unterschiedlichen Systemen zusammensuchen und daraus Handlungsempfehlungen für den Vertrieb ableiten, die mit höherer Wahrscheinlichkeit auf Resonanz bei den Kunden stossen, als wenn der immer gleiche Pitch zur Anwendung kommt. 
 
KI-gestütztes «Guided Selling» kann auf zwei Arten erfolgen: 
  • präskriptiv (empfohlene nächste Aktionen, z. B. welche Inhalte als Nächstes an einen potenziellen Kunden gesendet werden sollen)
  • prädiktiv (Erkenntnisse, die statistisch relevante Indikatoren für die Schritte im Verkaufsprozess liefern und damit eine dynamische Sales-Steuerung ermöglichen). Anstatt von Verkäufern zu verlangen, dass sie nur nach Bauchgefühl entscheiden, was als Nächstes zu tun ist, um eine Beziehung, ein Geschäft oder ein Angebot voranzubringen, können sie sich auf statistisch abgeleitete Analysen verlassen.
 
Gemäss einem Harvard Business Review von Ende 2022 hat sich zum Beispiel beim bekannten IT-Sicherheitsunternehmen McAfee die Anzahl der Erstgespräche, die in Verkaufschancen umgewandelt werden konnten, verdreifacht. Zumindest ein Indiz für eine höhere Zufriedenheit der Kunden mit dem Verkaufsgespräch. 
 

KI im Kundendienst

Schnellere Problemlösungen im Kundendienst

Der beste Kundendienst ist derjenige, den man gar nicht erst anrufen muss. Gute Self-Service Seiten mit klaren Anleitungen zur Problemlösung sind in der Regel viel effizienter – für beide Seiten.
 
Auch gut gemachte Chatbots sind besser als launische, nicht immer wirklich kompetente Service-Agenten. KI hilft hier, das Problem schnell einzugrenzen und Tipps zur Problemlösung zu präsentieren. Bots tragen dabei tatsächlich zu einem personalisierten Kundenerlebnis bei, das sich überraschend «menschlich» anfühlen kann. Hubspot hat einmal herausgefunden, dass 63 Prozent der Nutzer von KI-gesteuerten Diensten wie Chatbots nicht wussten, dass sie KI verwenden. Bekannt sind auch Chatbots, die sogar Dankesschreiben erhalten haben.
 
«Conversational AI», also die Intelligenz, die für sprachgesteuerte Bots zum Einsatz kommt, trägt dank Stimmbiometrie und kontextueller Sprachanalytik ebenfalls immer mehr zu einer positiven Customer Experience bei. Und sollte trotzdem eine menschliche Interaktion gewünscht sein, sollte der Bot dies auch ermöglichen. Gut gemachte Chatbots schlagen eine solche sogar aktiv vor, abhängig von der Komplexität der Problemstellung, der Tonalität im Text oder der Stimmungslage. Denn was uns Menschen von Bots klar (noch) unterscheidet, sind Empathie und lösungsorientiertes Verhandlungsgeschick.
 
KI unterstützt die Serviceagenten aber auch in persönlichen Gesprächen, indem sie schnell auf die jeweilige Situation passende Problemlösungen vorschlägt. 
 
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass künstliche Intelligenz wesentliche Unterstützung in Marketing, Vertrieb und Kundenservice leistet. Dabei wird nicht nur die Effizienz gesteigert, sondern auch die Customer Experience und letztlich die Kundenzufriedenheit. Ein weiterer wesentlicher Aspekt: KI sorgt auch dafür, dass die kundenorientierten Abteilungen näher zusammenrücken – durch bereichsübergreifend optimierte Prozesse und eine 360-Grad-Sicht auf die Kunden. Es ist höchste Zeit, sich intensiv mit den Möglichkeiten von KI zu beschäftigen! 
 
PS: Dieser Artikel wurde noch gänzlich ohne die Hilfe von KI geschrieben. 
 
 

Der Autor

 
Daniel Renggli ist Marketing- und Kommunikationsexperte mit einer Leidenschaft für Customer Experience und KI-gestützte Automation in Marketing, Vertrieb und Service. Er berät Unternehmen auf strategischer und konzeptioneller Ebene zur digitalen Transformation hin zu kundenzentrierten Unternehmen. Zudem arbeitet er für Hase & Igel, ein Start-up im Bereich KI-gestützter Data Analytics Tools, und den Microsoft Gold Partner Navtechwww.linkedin.com/in/drenggli

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-2

 

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