Das 9. Nationale eGovernment-Symposium im Kulturcasino der Stadt Bern war (wie üblich) ein Stelldichein der Leute, die bei der Digitalisierung von Behörden und Verwaltungen eine wichtige Rolle spielen. Zum Jahresende nochmals ein Rückblick auf die Veranstaltung, welche gleichzeitig einen Ausblick auf die (nahe) Zukunft ermöglicht.

Burgerratssaal im Kulturcasino Bern (Bild: Bern Tourismus)

Burgerratssaal im Kulturcasino Bern (Bild: Bern Tourismus)

Kulturcasino Bern, unweit des Bundeshauses. Was sagt uns der Veranstaltungsort über den Anlass und dessen Charakter aus? Zuerst einmal der atmosphärische Eindruck: KULTUR-Casino… Das heisst, E-Government bedarf kultureller Veränderungen. Doch welche? Kulturelle Änderungen bei den Mitarbeitern sind erforderlich, damit die neue Perspektive auf die Verwaltungskunden gelingt. Aber natürlich dürfen auch die Veränderungen der Verwaltungskunden bezüglich Kommunikation und Transaktion mit der Verwaltung nicht fehlen. Zudem kommen Veränderungen in der Zusammenarbeit von Verwaltungseinheiten dazu. Netzwerk statt Autonomie ist das künftige Thema. Zum Zweiten: der Tagungsraum „Burgerratssaal“ – Herrschaft der Wenigen und Alteingesssenen. Die Teilnehmerschaft bestand aus sehr vielen Firmenvertretern sowie zumeist aus Verwaltungsvertretern, die teilweise mit E-Government befasst sind. Wünschbar wäre gewesen, wenn aus Sicht der Verwaltungsleitenden mehr Teilnehmer anwesend gewesen wären (auch im Sinne eines Commitments zum E-Government aus Leitungssicht; immerhin war ein Minister anwesend). E-Government ist auch ein Verwaltungsführungsthema – möglicherweise sogar primär. Nur diese Führungsunterstützung des E-Governments führt zum Erfolg. Auch da also ein Kulturwandel? Ca. 150 Teilnehmende waren vor Ort. Das neue Format der Veranstaltung findet nach einem gemeinsamen Mittagessen am Nachmittag statt. Am Morgen fanden u.a. Abschlussveranstaltungen der federführenden Organisationen (ffO0s) ausgehend von der ablaufenden Rahmenvereinbarung E-Government-Schweiz (2011 bis 2015) statt. Aber auch die E-Government-Verantwortlichen der Kantone fanden sich zu ihrem regelmässigen Meeting zusammen, eine verdienstvolle Organisation und eine verdienstvolle Arbeit, die diese „Organisation“ leistet. Aber eben. Die Bezeichnung des Saals lautet auf Burgerratssaal. Burger meint rückblickend oder rückwärts gewandt die Herrschaft der Wenigen, rückblickend ins 18. Jahrhundert. Und es stellt sich ausgehend davon die Frage, ob es die Wenigen sind, die sich mit dem Thema E-Government auseinandersetzen oder ob aktuell der breite Diskurs zu E-Government stattfindet, der so dringlich erforderlich wäre.

Verwaltungserneuerung im Zeichen der Digitalen Aufklärung

Bild Peter Fischer

Peter Fischer, Leiter des Informatikstrategieorgans des Bundes begrüsste die Anwensenden. (Foto: Sascha Hähni)

Einleitend merkte der Leiter des Informatikstrategieorgans des Bundes, Peter Fischer, in seiner Begrüssung an, dass mit dem 1.1.2016 auch eine Formeländerung und Änderung der Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden mit der neuen Vereinbarung beginne, die vom Bundesrat eben abgesegnet worden sei. Verwaltungserneuerung ist nach wie vor ein zentrales notwendiges Thema, das schwierig zu verkaufen ist. Ausgehend von einem Referat der scheidenden Bundeskanzlerin Casanova (am Morgen des Veranstaltungstags in einer kleineren Veranstaltung) scheint aktuell der Mensch noch zu wenig im Zentrum zu stehen. Wohl meinte sie das bezüglich der Mitarbeitenden der Verwaltung, aber auch bezüglich der Kunden als Menschen, die es mit der Verwaltung zu tun haben. In der Tat stellt sich ausgehend von den Referaten die Frage, was Veränderungen der Sichten auf die Verwaltung im Hinblick auf E-Government sind oder nicht. Studien, am Symposium viel und kontrovers erläutert und erwähnt, geben sehr unterschiedliche Einsichten in den Stand von E-Government der Schweiz. Ausgehend von den derartig grossen Unterschieden stellt sich die Frage, ob es eine verlässliche Basis des Vergleichs gibt oder ob es sich dabei um Einschätzungen aus Verwaltungssicht und nicht aus der Sicht der E-Government-Nutzer handelt. Ein interessanter Hinweis kam vom Moderator, welcher auf einen NZZ-Artikel (Stefan Betschon: Für eine Digitale Aufklärung; 15.11.2015) referenzierte, der sich mit dem Begriff der „Digitalen Aufklärung“ auseinandersetzte. Herausforderungen, die dafür ausschlaggebend sind, lauten auf Big Data, Künstliche Intelligenz, Datendiktatur und Notwendigkeit eines aufklärerischen Umgangs mit der Digitalisierung allgemein, aber auch in der Öffentlichen Verwaltung.

Bundesrat Maurer sieht Fortschritte

Bundesrat Ueli Maurer

Bundesrat Ueli Maurer: „Es muss nicht alles effizienter sein oder werden.“ (Foto: Sascha Hähni)

Aus bundesrätlicher Perspektive schilderte Bundesrat Maurer, auf zwei am selben Tag erhaltene „Briefe“ referenzierend (die er auch physisch vorwies, einen als Email ), dass heute noch sehr vieles auf Papier in der Öffentlichen Verwaltung ankomme an Anliegen von Verwaltungskunden. Medienbrüche sind an der Tagesordnung und die Kosten der Anwendungen, die heute implementiert werden, wachsen ins Unübersehbare. Zugleich führte der sprechende Bundesrat mit Stolz das später in der Veranstaltung nochmals ausgezeichnete Geo-Portal des Bundes auf. Die Breite unterschiedlicher Stati von E-Government ist doch einigermassen erstaunlich. Grundsätzliche Anforderungen an E-Government lauten aus bundesrätlicher Perspektive wie folgt: Effizienzverbesserung, Sicherheit sowie Korrektheit aus Gesetzgebungssicht. Fortschritte sind da, meinte der Magistrat, gab aber auch zu, dass er mit Papier aufgewachsen sei, sowie dass für die möglicherweise grundlegenden Veränderungen auch Generationenwechsel nötig seien. Neben den Verwaltungskunden und der Verwaltung selbst sei da auch die (zahlreich anwesende) Industrie, die aus Sicht des Magistraten eine nicht immer problemlose Rolle einnehme im Rahmen von E-Gov-Projekten. „Es muss nicht alles effizienter sein oder werden“ so der O-Ton des Magistraten. Auch vor der Anonymität der Beziehung zum Gemeinwesen warnte der Magistrat. Zurück zum Anfang des Beitrags: Kultureller Wandel tut offenbar not (Konnex zum Kulturcasino). Nicht zuletzt betonte er aber auch, dass die Digitalisierung bis in 25 Jahren das Zeug dazu habe, ein gewichtiger Standortvorteil der Schweiz zu werden. Noch vierzig Jahre weiterhin zwei Welten nebeneinander bestehend, die elektronische und die papierene physische Welt, das war seine Prognose.

„Government as a Platform“

Bild Prof. M. Janssen

Prof.dr.ir. Marijn Janssen, Delft University of Technology:: „Interoperability as a condition for open government.“ (Foto: Sascha Hähni)

Professor Dr. Marijn Jaanssen von der Technischen Universität Delft (NL) berichtete über Open Government Data anhand interessanter Beispiele aus den Niederlanden. Er betonte einmal mehr, wie wichtig hier die Rolle der Wirtschaft sei und führte für die Konkretisierung das hinlänglich bekannte Framework European Interoperability Framework 2.0 vor, allerdings nicht namentlich. „Government as a platform“ sei das Zauberwort, aber auch Behebung der Intransparenz der Öffentlichen Verwaltung gegen aussen. Die Integration der Daten bezüglich Open Government Data reiche von Register, sonstigen Portfolios an Daten, Fähigkeiten sowie technischer Interoperabilität. Ein Fazit nach dem Vortrag des Holländers: Im Publikum alles nur Schweizer, keine Ausländer, und ausserdem, sehr viele Firmenvertreter, ev. gar waren die Verwaltungsmitarbeiter gar in der Minderheit. Interessiert E-Government in der Schweiz rundherum nicht?

Bild Philippe Receveur

Regierungsrat Philippe Receveur aus dem Kanton Jura informierte über die neuen Entwicklungen bei E-Government Schweiz. (Foto: Sascha Hähni)

Dann folgte der Vortrag eines weiteren Magistraten, Philippe Receveur, Regierungsrat im Kanton Jura, der über die neuen Entwicklungen bei E-Government Schweiz berichtete und wie die Dimensionen Organisation, Pilotierung, Finanzierung, Inbetriebnahme zusammenhängen und neu ausgestaltet werden sollen. Peter Fischer sagte es ja eingangs, E-Government Schweiz erlebt eine Zäsur in Richtung verstärkter Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Kantonen und Bund und wie hinlänglich bekannt per 1. Januar 2016 auch mit einem tatkräftigen neuen E-Government-Verantwortlichen auf Bundesebene, der am Anlass selbstverständlich auch vor Ort war.

In ganz andere Richtungen ging ein Firmenvortrag der ELCA, der einerseits ein Reifegrademodell für die IT in der Öffentlichen Verwaltung aufführte zur Klärung des Vorgehens von E-Government, von den IT’s mit zwei Geschwindigkeiten berichtete, bildlich unterschieden in Container-Schiffe und Super-Schnellboote, sowie entsprechenden verschiedenen Vorgehen, von Agile bis hin zu traditionellem Projektvorgehen (ob HERMES und Agile zusammengehen können?). Weiter ging es um unterschiedliche Niveaus: „Geschäft“, „Wofür“ (IT) und „Wie“ (IT). Ebenfalls kamen die konfliktären Anforderungen Planbetrieb versus Flexibilität zur Sprache. DevOps als Lösung?

Spannend war auch das Referat zu GEAK (Gebäudeenergieausweis der Kantone). Hier geht es um die Publikation von Energieetiketten. Dies ist, wie ausgehend von einer Publikumsfrage erläutert, die ideale Plattform, um der Minergie-Initiative Publizität zu ermöglichen. Spannend waren auch die Ausführungen zu Gebäudewizards, über welche die Prüfer Gebäude einfach über das Web erfassen können um Energieeffizienz zu ermöglichen. Zusammengearbeitet wird dafür auf der Betriebsebene mit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Bild Willy Müller

Willy Müller, Informatiksteuerungsorgan Bund: „Was soll die Rolle des Staates und der Behörden im Big Data Spiel sein?“

Big Data – das unsichtbare Spiel

Der „Bundes-IT-Architekt“, Willy Müller, thematisierte schliesslich Big Data. Er präsentierte viele, viele, viele Fragen, aber keine Antworten. Aus seinem Vortrag, der mit vielen Zahlen und einleuchtenden Beispielen angenehm unterhaltend daherkam, sprach viel Besorgtheit. Das Referat nährte dann die Podiumsdiskussion, die sich mehrheitlich ebenfalls dem Umgang mit Big Data widmete. Von nichts Geringerem als einer „Kopernikanischen Wende“ war da die Rede, die erforderlich ist. Big Data ist kein schweizerisches sondern ein globales Phänomen. Entsprechend ist zwischen einer globalen und einer lokalen Governance zu unterscheiden. Diese sind aber erst noch grundlegend aufzubauen. Wie machen wir das – oder Beispiel einer Governance-Institution erwünscht, die man sich als Beispiel nehmen könnte? Die FINMA. Analog könnte, was aber eher weniger wahrscheinlich ist, ein Big Data Amt geschaffen werden oder ähnlich.

Die Podiumsdiskussion kümmerte sich ebenfalls wie erwähnt um das Thema Big Data und Robocops, Überwachungsmöglichkeiten, Privatsphärenverlust, Datenschutz und die Unsichtbarkeit des Wirkens im Rahmen von Big Data. Dies, so das Fazit, erschwert das transparente und diskursorientierte Handling von Big Data massiv. Wir haben, so der Grundtenor, die Kontrolle über unsere Daten verloren. Ja und dann war das Thema auch Technikfolgenabschätzung und was dies mit der Grünen DNA zu tun hat. Balthasar Glättli mit der grünen Digitalisierungs-DNA merkte an, dass dank Big Data Kausalität durch Korrelation ersetzt wird. Datenschützer (Bruno Bäriswyl), so lernte man, sind Optimisten, trotz des erwähnten Verlusts der Kontrolle über die Verwendung unserer Daten. Probleme des Managements von Big Data würden sich in der Privatwirtschaft (Customer Relationship Management etc.) als gefährlicher erweisen als in der Öffentlichen Verwaltung. Dann nochmals ein Schlagwort: Post Demokratie, ebenfalls von Glättli. Das Fazit aus dem Schlagwort: Die internationale Wirtschaft ist der dritte grosse Player im Big Data Game, welche dank deren Internationalität Katz und Maus spielen kann bezüglich Big Data Nutzung mit nationalen Datenschützern und Datenschutzgesetzen. Beim Datenschutz müsse es darum gehen, Werte zu verteidigen und Mechanismen für die Governance zu definieren, mit lokalem Fokus wohl, aber auf die internationalen Gegebenheiten ausgerichtet. Rüttelt, wie der Datenschützer meinte, tatsächlich Big Data an den Grundfesten unserer liberalen Gesellschaftsordnung? Und was genau bedeutet die Kontrolle über meine eigenen Daten? Es gilt eine sozialverträgliche Technikgestaltung zu realisieren.

Ein launiges Schlussplädoyer im Rahmen einer Zusammenfassung des Tages wurde zuletzt durch Prof. Dr. Reinhard Riedl von der Berner Fachhochschule gehalten. Darin war zusammenfassend von Agilität und Infrastruktur die Rede. Ja, das Thema Architektur sei auch für den Datenschutz von zentraler Bedeutung und ja, Au Revoir am nächsten E-Government-Symposium, das am 12. Mai in Martigny stattfinden – natürlich das E-Government-Symposium Romand.

Weitere Informationen: Präsentationen und Fotos des 9. Nationalen eGovernment-Symposium vom 24.11.2015 in Bern

Konrad Walser

Prof. Dr. Konrad Walser ist Dozent und Senior Researcher am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule | www.e-government.bfh.ch. Er ist Co-Organisator und Programmleiter der Gov@CH  – der neuen Messe und Konferenz für Digitale Verwaltung.