Der Industriekanton Aargau will in der Schweiz eine führende Rolle beim Thema Industrie 4.0 einnehmen. Gleich mehrere Institutionen setzen sich für die Förderung zukunftsorientierter Technologien ein: Das Hightech Zentrum Aargau, die Fachhochschule Nordwestschweiz mit der FITT-Fachstelle, die Aargauische Industrie- und Handelskammer AIHK und die Standortförderung von Aargau Services beraten Unternehmen. An einer gemeinsamen Impulsveranstaltung im Campus Brugg-Windisch liessen sich am 25.11.15 mehr als 120 Teilnehmende über die Möglichkeiten von Industrie 4.0 informieren. Vier verschiedene Workshops boten dabei Gelegenheiten für konkrete, individuelle Fragen. Nebst branchenspezifischen Fragen standen vor allem die Themen Security und Trust – Sicherheit und Vertrauen – im Vordergrund bei der bevorstehenden Verschmelzung der Technologien.

Grosses Interesse: Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt

Grosses Interesse: Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt.

Wer macht was im Kanton Aargau?

Mit der Aussage „Industrie 4.0 steht für Verschmelzung der Fertigungsindustrie mit Informatik“ begrüssten Bernhard Isenschmid,  Technologie- und Innovationsexperte des Hightech Zentrums Aargau, und Markus C. Krack, Leiter des Technologietransfer-Zentrums FITT, die zahlreichen Gäste aus Industrie, Forschung und Behörden. Der praktisch bis zum letzten Platz gefüllte Plenum-Saal widerspiegelte das derzeit hohe Interesse am Thema Industrie 4.0. Gerade für den Kanton Aargau mit seiner zentralen Lage und dem überdurchschnittlich hohen Industrieanteil ist die industrielle Zukunft von grösster Bedeutung. Die Digitalisierung schreite rasch voran, gibt Bernhard Isenschmid zu bedenken: „Industrie 4.0 ist nicht nur Bewegung, sondern Veränderung. Die Auswirkungen sind schon heute von uns allen spürbar. Neue Geschäftsmodelle gefährden bisherige Betriebe.“ Dass Veränderungen aber auch Chancen bieten, wollten die Organisatoren des Events zeigen und gleichzeitig Hilfe bei diesem Veränderungsprozess bieten. Interessierten Unternehmen stehen im Kanton Aargau gleich mehrere Anlaufstellen zur Verfügung:

Starke Partner, ein Thema (v.l): Bernhard Isenschmid, Hightech Zentrum Aargau, Anneliese Alig Anderhalden, Standortförderung Kanton Aargau, Daniel Knecht, AIHK und Markus Krack, FITT /FHNW

Starke Partner, ein Thema (v.l.): Bernhard Isenschmid, Hightech Zentrum Aargau, Anneliese Alig Anderhalden, Standortförderung Kanton Aargau, Daniel Knecht, AIHK und Markus Krack, FITT /FHNW

Gute Karten für den Industriekanton Aargau

Laut Analyse der Rating-Agentur Standard & Poor’s spielt der Kanton Aargau wirtschaftlich und finanziell in der Topliga der Schweizer Kantone. In einem Zwischenrating wird der Kanton mit dem höchsten Rating von AAA/stabil beurteilt. Bei der UBS reicht es in Sachen Wettbewerbsfähigkeit immerhin für Rang 4 aller Kantone. Gute Karten also für den Industriekanton Aargau, doch Anneliese Alig, Leiterin von Aargau Services, betont: „Die Ausgangslage ist hervorragend, doch die Wettbewerbsfähigkeit kann noch gesteigert werden. Industrie 4.0 bietet spannende Möglichkeiten, den Vorsprung zu nutzen und auszubauen.“ Daniel Knecht, Präsident der Aargauischen Industrie- und Handelskammer unterstreicht dies mit dem Hinweis, dass der Aargau sehr breit diversifizierte Wirtschaftsstrukturen aufweist, wobei die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie den eigentlichen Kern bilde. Das FITT (Forschung, Innovation, Technologietransfer) steht dabei als zentrale, niederschwellige Anlaufstelle beratend zur Seite und öffnet Unternehmen den Zugang zur Hochschulwelt.

Inspirationen und konkrete Anwendungen

In seinem Referat „Wie Digitalisierung und das Internet der Dinge und Dienste die Produktion verändern werden“ ging Dr. Moritz Hämmerle vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation auf die Fragen ein, wie künftig in der Fabrik gearbeitet werden wird, und wie Arbeit in Zukunft aussehen könnte.  Dabei hält er fest, dass es Schweizer Unternehmen bisher glänzend verstanden haben, sich trotz sehr hoher Arbeitskosten im europäischen Vergleich einen Vorsprung durch Innovation und Produktivität zu verschaffen. Heute zählen die Schweiz und Deutschland klar zu den Favoriten beim Thema „Ready für Industrie 4.0“. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Praxis die Digitalisierung der Produktion derzeit an vielen Orten noch auf tiefem Stand ist. Dies gilt es zu ändern, wenn Industrie-Arbeitsplätze erhalten bleiben sollen. Deutschland hat dies bereits vor vier Jahren erkannt und forciert seither eine duale Strategie mit dem Ziel, sowohl als Leitmarkt als auch als Leitanbieter für Industrie 4.0 zu punkten. Dabei spricht Hämmerle Klartext: Wer nicht mitgeht bei Industrie 4.0, wird verlieren.

Ein Blick nach Deutschland mit Moritz Hämmerle (links): Neuste Erkenntnisse aus dem Fraunhofer-Institut in Stuttgart.

Ein Blick nach Deutschland mit Moritz Hämmerle (links): Neuste Erkenntnisse aus dem Fraunhofer-Institut in Stuttgart.

Wie konkrete Industrie 4.0 Beispiele aussehen, zeigte anschliessend Philippe Ramseier, CEO und Inhaber der Autexis Control AG. Für ihn ist klar, dass solche Lösungen auf das Zusammenspiel strategischer Partner angewiesen sind. Die grösste Herausforderung sei es, die Komplexität der gesamten Wertschöpfungskette durch Digitalisierung zu beherrschen. In der Praxis habe sich ein dreistufiges Vorgehen bewährt:

  1. Spielerische Proof of Concepts und Strategieentwicklung: Herausfinden, was Sinn macht, und wie Prozesse in Zukunft aussehen könnten.
  2. Step by Step zur Smart Factory: Industrie 4.0 als (langer) Prozess verstehen und nachhaltig gestalten.
  3. Zentrale/dezentrale Intelligenz: Möglichkeiten für den zentralen bzw. dezentralen Einsatz von „Intelligenz“ prüfen.

Smart Factory ist bereits heute bei verschiedenen Unternehmen ein zentrales Thema wie etwa bei:

  • Chocolat Frey und Mibelle Group: Produktivitätssteigerung
  • Coop Bäckerei: Dynamische Auftragsplanung
  • Hoffmann Neopac: Erfassung von Qualitätsdaten bei der Herstellung
  • Coop, Migros: Alarmmanagement, Prozessüberwachung
  • Coop: Anlagen-Cockpit für die Überwachung der gesamten Prozesskette in Echtzeit.
  • Swisscom: Integration von Sensoren (Temperatur, Druck, Feuchtigkeit usw.) in Arbeitsprozesse
Philippe Ramseier (links) und Bernhard Isenschmid bleiben im Gespräch.

Philippe Ramseier (links) und Bernhard Isenschmid bleiben im Gespräch.

Aktive Industrie 4.0 Workshops

Nach den Einführungen und Fachreferaten hatten die Besucher Gelegenheit, ihre Fragen und Anliegen in vier verschiedenen Workshops zu besprechen. Dabei zeigte es sich, dass Industrie 4.0 als Thema zwar auf grosses Interesse stösst, gleichzeitig aber noch mit viel Unsicherheit verbunden ist. Eine kleine Auswahl aus den Sessions zeigen die Vielfalt der Fragen:

Workshop „Automatisierung“
Standards (Schnittstellen), Prozesshoheit (wer ist Owner? Wer hat Zugriff?), Security, Komplexität managen (wie kann das auch ein KMU bewältigen?), Umsetzungspartner für KMU (Technologie, Know-how, Finanzierung).

Workshop „Geschäftsmodelle“
Mitarbeiter 4.0, Kundennutzen, Know-how (wie baut man im Unternehmen Know-how für Industrie 4.0 auf?), Industrie 4.0-Check von bestehenden Geschäftsmodellen, ERP 4.0 (Wie schafft man Integrationen verschiedener Daten- und Anwendungssichten? Sind derzeitig erhältliche Systeme geeignet?), Strategien und Visionen, Datenqualität und –erfassung, wie packt man Projekte an und mit wem?

Workshop „Mikroelektronik“
Tracking von Produktions- und Auftragsstatus, sichere Kommunikation z.B. CH – China, Bewältigung von Ausschuss (erfassen von Zuständen, damit ohne Ausschuss produziert werden kann), Berücksichtigung von Umgebungsparametern, Datenaustausch

Workshop „Internet of Things“
Neue Definition von Security (Firewall, Domänen usw.), Trust bei M2M-Kommunikation, Abhängigkeiten/Komplexität des Gesamtsystems (Architektur), Definition von Standards, juristische Fragen, Kommunikationsmedien

Menschen bilden auch bei Industrie 4.0 den zentralen Mittelpunkt.

Menschen bilden auch bei Industrie 4.0 den zentralen Mittelpunkt.


(Fotos: Hightech Zentrum Aargau)

Weitere Informationen:

www.hightechzentrum.ch/industrie
Tel. 056 560 50 50

Christian Bühlmann

Christian Bühlmann ist Chefredaktor des topsoft Fachmagazin für Business Software.