«Wozu brauche ich Daten, ich habe ja Vertriebsmitarbeiter und Verkäufer in der Ladenfläche, die bestens über die Produkte Bescheid wissen.» So oder ähnlich argumentierten Einzelhändler gestern und B2B-Organisationen oft heute noch.

Spätestens jedoch, wenn man seine Produkte online anbieten will, kommt die grosse Ernüchterung. Es sind kaum Daten vorhanden und wenn, dann wenig konsistente und kaum gepflegte. Über Jahre wurde diese Disziplin von Handelsorganisationen jeglicher Couleur sträflich vernachlässigt. Nun beginnt der Wettlauf mit der Zeit.

Im elektronischen Vertrieb – unabhängig ob B2C oder B2B – zählt vor allem eines: die Datenqualität. Und die neuen Player, welche eine Branche nach der anderen umwälzen, haben primär eines, nämlich eine unglaubliche Datenkompetenz. Oft noch viel mehr als sie Handelskompetenz vorweisen können.

Von Amazon bis Zalando schaffen es neue Unternehmen im Distanzhandel die Kundenbedürfnisse zu erkennen, zu adressieren und zu befriedigen. Daten sind auch hier eine Grundlage der hohen Skalierungspotentiale.


Produktdaten als neue Herausforderung

Die Anforderungen an Produktdaten sind vielfältig und hängen oft vom Business-Case ab. Grundsätzlich gilt, je mehr Daten und je granularer diese vorliegen, desto besser.

Im B2C Geschäft ist ein eigentlicher Wettbewerb um die besten Daten entfacht. Genügte es früher, neben Artikelnummer, -bezeichnung und -kurztext noch Preis- und Rabattinformationen zu pflegen, gehört dies seit dem Onlineshopping-Boom definitiv der Vergangenheit an.

Primäre Anspruchsgruppe sind die Endkunden. Sie wollen heute höchst detaillierte Produktinformationen vom Händler wie auch von Dritten und anderen Kunden.

Vom Händler wird erwartet, dass nebst detailgetreuer, hochauflösender und verschiedene Perspektiven bietenden Fotos und Videos auch ausführliche Produktbeschreibungen angeboten werden. Denn ein Verkäufer aus Fleisch und Blut ist nicht da, also muss man sich aufgrund der Informationen ein Bild machen können. Kommt hinzu, dass die Texte oft in mehreren Sprachen benötigt werden.

Als eigentliche Herausforderung entpuppen sich oft die Produkteigenschaften, die je nach Sortiment sehr Umfangreich ausfallen können und müssen. Denn der Kunde braucht gerade in Sortimenten mit mehreren tausend Artikeln umfassende, adäquate Hilfestellungen. Er erwartet heute in jedem Onlineshop Filtermöglichkeiten, um das Sortiment einzugrenzen und schnell das Gesuchte zu finden.

Die allgemeine Suche sowie die Verwendung von Filtern und Facetten im Speziellen sind jedoch nur funktionsfähig, wenn die Datengrundlage vorhanden ist. Daran mangelt es dem Grossteil der alteingesessenen Händler heute dramatisch. Die daraus resultierenden Wettbewerbsnachteile sind offensichtlich. Wer sich die verschiedenen Onlineshops aus dieser Sicht mal anschaut, wird dies leicht feststellen können.

Doch nicht nur Endkunden verlangen nach Daten – auch Google zeigt sich äusserst datenhungrig und stellt hohe Anforderungen an die Datenqualität für seine verschiedenen Produkte.  Ob Google Shopping, Google Places oder beides in Verbindung mit AdWords: Grundlage sind immer Daten.

Als Faustregel gilt, 50 Prozent des Traffcs in Onlineshops kommt von Google; damit ist oft auch die Hälfte des Umsatzes von der Suchmaschine abhängig. Erfolgskritisch ist daher auch, dass neben strukturierten Daten möglichst einzigartige Produkttexte zur Verfügung stehen, die sich von denjenigen der Konkurrenz unterscheiden. Daher sind Produktdaten, die von Lieferanten kommen oder über Dritte eingekauft werden, immer nur zweite Wahl.


Entkopplung von ERP und E-Commerce

ERP-Systeme gelten oft als Getriebe im E-Commerce. Sie bringen die Leistung des «Motors Onlineshop» auf den Boden mit der Abwicklung der Aufträge. Sie wurden jedoch in letzter Zeit vermehrt auf die Auftragsabwicklung zurückgedrängt. An der Front sind andere Systeme gefragt – warum?

Es liegt auch in der Tradition des Handels und dessen technologischer Systemunterstützung. In den vergangenen Jahrzehnten waren an der Front Aussendienst-Mitarbeiter und Verkäufer – ausgerüstet mit Bestellblocks, Zeigebüchern oder Kassensystemen. Daten, Produktinformationen und mehr waren in deren persönliche Kompetenz. Der Präsenzhandel dominierte, und die wenigen in ERP Systemen hinterlegten Produktdaten genügten vollumfänglich, unter anderem auch, um Preis- und Rabattlisten oder gar Kataloge zu produzieren.

Das hat sich dramatisch geändert durch den Wegfall der physischen Präsenz. An dessen Stelle sind Daten getreten. Und dies mit einer derartigen Wucht, dass der elektronische Vertrieb dringend nach neuen Systemen verlangt.
Ohne Produkt Information Systeme (PIM) und Media Asset Managements (MAM) kommt ein ernstzunehmender Onlineshop heute kaum noch aus.

Hier wurde die Rolle von ERP-Systemen auf die Verwaltung von sog. betriebswirtschaftlichen Daten wie Lagerverwaltung, Verfügbarkeit aber auch Preise und Rabatte nebst der eigentlichen Auftragsabwicklung und den
Zahlungsflüssen reduziert.

Klar, jede zeitgemässe ERP-Anwendung bietet auch einen Onlineshop. Aber haben Sie sich diese Onlineshops mal angeschaut? Rein funktional ist das Einkaufen damit absolut möglich. Aber wollen Sie dort wirklich auch einkaufen? Oder haben Sie gar das Gefühl, dort einkaufen zu müssen? Mir persönlich wäre kein solcher Onlineshop bekannt.

In den Top-100 der umsatzstärksten Schweizer Onlineshops finden sich denn auch kaum Plattformen, die direkt mit ERP-Anwendungen realisiert wurden. Vielmehr werden diese Systeme intelligent entkoppelt und eigentliche dynamische Verkaufslayer verschiedener Ausprägung darauf gebaut. Und je länger je mehr für verschiedene Frontend-Typen wie Desktop, Smartphones und Tablets.

Kommt hinzu, dass aufgrund der Dynamik des Wandels im Handel die Shopping-Plattformen alle 3–4 Jahre überarbeitet werden müssen. ERP-Anwendungen haben jedoch eine deutlich längere Lebenserwartung im Unternehmen. Und manch ein innovativer Onlinehändler findet weder sein Vertriebsmodell  im Standard eines ERP-Systems noch kann er warten, bis gewünschte Features im Release verfügbar sind.

SAP hat im vergangenen Jahr die Zeichen der  eit erkannt und die Limitierung seiner Kernkompetenzen. Die Übernahme der E-Commerce und PIM-Plattform Hybris ist durchaus eine strategische Meisterleistung. Offenbart sie auch, wo man seine eigenen Kernkompetenzen sieht und welche sich rasend schnell verändernden Anforderungen der Markt an E-Commerce Plattformen stellt.


B2B und B2C verschmelzen zu H2H

Doch nochmals zurück zu ERP-Onlineshops, die vereinzelt im B2C Bereich und primär noch im B2B Bereich existieren. Wo genau liegt denn der Unterschied zwischen einem B2B- und einem B2C-Käufer? Genau, es gibt kaum einen! Es sind dieselben  Menschen die privat ihren Bedarf online bei Brack, Ex Libris oder PKZ decken und beruflich die Beschaffung für ihren Arbeitgeber.

Die Erfahrung aus dem B2C Einkauf fliesst je länger je mehr auch in den B2B Einkauf ein. Immer mehr B2B-Einkäufer fragen sich: Warum ist es so einfach und bequem privat einzukaufen und so umständlich, wenn ich das im beruflichen Umfeld tue? Wir reden daher lieber von H2H – Human-to-Human. Menschen verkaufen an Menschen. Eigentlich so, wie es früher ja schon immer war.

Die Erwartungshaltung für B2B wird vermehrt von B2C Verkaufsplattformen geprägt. Hat jemand die Freiheit beim Einkauf, dann wird er sich für den Shop entscheiden, der schlicht mehr Spass macht und intuitiv zu bedienen ist – je länger je mehr auch B2B.

Dass B2B ein geschützter Bereich ist, ist ein Märchen. Erfolgreiche B2C Onlinehändler entdecken das lukrative Geschäft mit Businesskunden und machen das Leben alteingesessener Händler schwer. Schneller als man denkt – und zwar mit aus B2C erprobten Shopping-Funktionalitäten, ergänzt mit spezifischen B2B Anforderungen wie individuellen Kundenkonditionen, durchgängigen Workflows, Beschaffungs-Anbindungen und mehr.

Und auch Amazon steht in Europa in den Startlöchern, nachdem man mit www.amazonsupply.com in den USA erfolgreich gestartet ist. Wohlgemerkt, dieser B2B-Shop mit einem Sortiment von über 2 Mio. Produkten von Schrauben über Werkzeuge bis Büromaterial sieht alles andere aus als ein nüchterner ERP-Shop.

Dringend benötigt: Produktdaten für den stationären Einzelhandel und B2B

Wer nun meint, Produktdaten seien nur im E-Commerce relevant, der irrt. Die oben erwähnten Anforderungen an Produktinformationen, deren granulare Eigenschaften wie auch Verfügbarkeitsdaten, werden in wenigen Jahren für den gesamten Handel unabdingbar. Denn Technologie-Konzerne wie Apple oder Google beeinflussen je länger je mehr unseren Alltag, auch abseits vom Computer. Stationäre Informationen fliessen kontinuierlich zunehmend
in Suchresultate ein – ob mobil oder am Desktop spielt keine Rolle.

Wer ein Produkt sucht, findet Informationen hierzu beispielsweise bei Google. Und er weiss dann auch, wo er es kauft. Er kann es entweder online ordern oder stationär kaufen und in wenigen Tagen bis Stunden sein Eigen nennen. Daher wird auch der stationäre Einzelhandel verpflichtet, Produkt- und Verfügbarkeitsinfos zur Verfügung zu stellen, wenn er seine Existenz nicht noch weiter gefährden will. Je länger je mehr gilt: Was nicht online oder bei Google auffindbar ist, existiert schlicht nicht.

Schneller als manche denken oder wünschen, werden die sogenannte «Wearables» allgegenwärtig sein. Ob die Datenbrille Google-Glasses, Apples iTime Uhr oder andere. Sie werden das Leben der Konsumenten erleichtern und das Auffnden von Produkten im Alltag, auch in der Einkaufsstrasse oder im Shopping-Center vereinfachen. Diesen Geräten ist eines gemeinsam: Sie sind datenhungrig und brauchen «Futter» – in Form granularer Produktdaten von Händlern, welche diese zur Verfügung stellen können. Werden Sie dazugehören und können Sie heute schon liefern?

Thomas Lang

Geschäftsführer Carpathia Consulting GmbH, E-Commerce Experte, Dozent, Publizist und gefragter Referent an int. Konferenzen zu Themen rund um Digitalen Handel und Wandel. Spezialist für Strategien, Konzepte und Geschäftsmodelle im Onlinevertrieb, Multi-/Cross-Channel-Handel, MobileCommerce, elektronische Geschäftsprozesse wie auch für Digitale Transformation.